4. Tag, Sesvenna Hütte – Trafoi
47 km, 4:30 Stunden, Durchschnitt 10,4 km/h, 1.600 Höhenmeter
Der heutige Tag glich einer Gefühlsachterbahn. Als ich heute Nacht vom Notlagerplatz zur Toilette ging, da sah ich schon durchs Fenster den sternenklaren Himmel. Endlich schöneres Wetter! Beim Aufstehen griff ich als erstes die Kamera und ging nach draussen um das Bergpanorama zu fotografieren. Einige Meter von der Sesvenna-Hütte entfernt, war der König Ortler in voller Pracht zu sehen. Nach einigen Fotos von der vergletscherten Bergwelt frühstückten wir in der Hütte. Mit uns starteten viele weitere Biker ins Tal hinab.
Kurz unterhalb der Hütte stoppten wir nochmal kurz um den imposanten Wasserfall zu fotografieren. Obwohl es heute den ganzen Tag trocken bleiben sollte, bekamen wir auch heute wieder eine Dusche ab. Im Etsch-Tal wurden die Obsplantagen gewässert und ein Sprenkler erwischte uns, als wir an einer Plantage bei Glurns im Vinschgau (904 m) vorbeifuhren. Bei Glurns tranken wir dann auch unseren ersten italienischen Espresso bz. Cappuchino. In dem Café füllten wir unsere Trinkflaschen und wurden gleich von einer alten Anwohnerin belehrt, dass wir doch besser das Wasser aus dem gegenüberliegenden Brunnen nehmen sollten, da dies das beste Wasser weit und breit sei.
Auf einer angenehm zu fahrenden, sich in Serpentinen windenden, Forstpiste gewannen wir wieder an Höhe. Bis auf eine Höhe von 1.800m fuhren wir stetig auf gutem Wege nach oben. Eine Forstperrung wegen Fällarbeiten ignorierten wir, da weit und breit keine Holzfäller zu sehen oder zu hören waren. Oben angekommen standen wir vor einer Entscheidung: 500 Höhenmeter abfahren um anschliessend bequem auf Forstpisten zur Furkelhütte hochzufahren oder weiter hinauf zur Stilfseralm schieben, um dann den Hang zur Furkelhütte zu queren. Die erste Variante versprach 500 zusätzliche Höhenmeter die zweite eine elende Plackerei mit Schieben und Tragen. Wir entschieden uns für Letzteres. Diese Variante stellte sich als die vermutlich härtere aber auch landschaftlich schönere heraus.
Der Steig zur Stilfseralm war eine einzige Qual. In engen Serpentinen wand sich der enge und verblockte Pfad sehr steil nach oben. Völlig erschöpft und von Seitenstechen geplagt setzten wir uns verzweifelt mitten in den Wald und zählten die verbliebenen Kalorienvorräte in unserem Rucksack. Die ersten Notfallgels wurden ausgepackt und die Motivation war im Eimer. Konditionell war hier der absolute Tiefpunkt erreicht. Die gestrige Königsetappe hatte Ihre Spuren an uns hinterlassen. Nach der Pause rappelten wir uns nochmal auf und kämpften uns weiter den Berg hoch. Das Wetter zog sich indes immer weiter zu. Die Entfernung zum Ortler wurde immer geringer und wir konnten trotz zunehmender Bewölkung eindrucksvolle Aussichten zum Ortlermassiv geniessen.
Auf einer Höhe von ca. 2.250 m erreichten wir schließlich ein Almgelände und konnten dann tatsächlich nochmal einige Teilstücke fahrend bewältigen und so erreichten wir dann die obere Stilfseralm doch schneller als erwartet. Gerade als wir die Hütte betraten kam auch schon wieder ein Regenschauer vom Himmel. Auf der Alm teilten wir uns einen Kaiserschmarrn, von der die Hüttenwirtin glaubte, dies sei der Beste der Alpen. Gut war er sicherlich, jedoch neigte die Dame etwas zur Selbstüberschätzung. 😉
Der Weg zur Furkelhütte war dann nocheinmal richtig anstrengend. Teilweise fahrbar, teilweise aber nur schiebend zu bewältigen. Aber frisch gestärkt war die Motivation doch wieder deutlich höher. Von oben war es mittlerweile auch wieder trocken. Nach eindrucksvoller Querung mit gigantischen Ausblicken erreichten wir schliesslich total verausgabt die Furkelhütte. Hier eröffneten uns dann drei Möglichkeiten: Erstens wie geplant nach Trafoi abfahren und am nächsten Tag die Stilfserjochstraße fahren, zweitens auf der Furkelhütte nächtigen und am nächsten Tag über Trafoi zum Joch zu fahren und drittens am nächsten Tag von der Furkelhütte über Wanderwege ohne die Abfahrt über Trafoi das Joch erklimmen. Wir entschieden uns zu bleiben und tranken ersteinmal ein Bier in der mittlerweile wieder herausgekommenen Sonne. Als wir dann schließlich nach einem Zimmer fragten erfuhren wir, dass die Hütte seit mindestens 20 Jahren keine Schlafplätze mehr anbietet. Also blieb uns nur die 500 Höhenmeter-Abfahrt nach Trafoi (1.543 m) auf einem anspruchsvollen Singletrail übrig.
Das Bier auf nüchternen Magen förderte bei dieser anspruchsvollen Abfahrt nicht gerade das Konzentrationsvermögen… Trotz Allem kamen wir gesund und munter unten an und hatten auf der genialen Abfahrt mit Stufen, Wurzeln und Steinen sehr viel Spaß. Beim nächsten Mal lasse ich den Alkohol vor so einem Wegstück aber doch besser weg… Ein einziges Bier bei dieser Anstrengung auf nüchternen Magen hat doch durchschlagende Wirkung. Unsere Laune war nach diesen eindrucksvollen Ausblicken und Trails allerbestens!
Mit einem Grinsen im Gesicht fragten wir im Hotel Bellavista / Gustav Thöni nach einem Zimmer. Für 65 € bekamen wir ein Luxuszimmer mit Halbpension bei einem 5-Gang-Menü angeboten. Da überlegten wir nicht lange. Das Zimmer hatte sogar eine Terasse mit Ortlerblick. Was will man nach einer solchen Etappe mehr?! Wir nutzten die Gelegenheit des Zimmers und der Sonne und wuschen unsere Sachen im Waschbecken und legten sie in die Sonne zum trocknen. Freudestrahlend betraten wir den luxuriösen Speisesaal und plünderten das Salatbuffet bevor uns die einzelnen Gänge gereicht wurden. Zum Essen gab es eine Flasche guten italienischen Rotweines, der uns sehr schnell müde werden lies.